KAPITEL EINS
Prinzessin Charlotte von Durham wollte kein Ehrengast im südafrikanischen Hotel ihres Ex-Freundes sein. Doch Prinzessin zu sein bedeutete meist, nicht ihren Willen durchzusetzen.
Sie starrte aus dem Fenster ihrer gemieteten Limousine auf die prächtigen Marulabäume, die vorbeirauschten. Ehrfurcht durchfuhr sie, obwohl sie versuchte, sie zu unterdrücken. Vereinzelte Äste, gekrönt von einem Blätterdach aus grünen Blättern, streckten sich flauschigen weißen Wolken entgegen, die sich vom blauesten Himmel abhoben, den sie je gesehen hatte. Die schmale Straße, auf der sie fuhren, sah aus, als wäre sie frisch asphaltiert, und das Dunkel des Asphalts bildete einen scharfen Kontrast zu den goldenen Gräsern zu beiden Seiten. Hitze flimmerte in der Luft, und zum ersten Mal in ihrem Leben verstand Charlotte, was die Leute meinten, wenn sie von Wüstenspiegelungen sprachen. Die Straße sah nass aus, als hätte es kürzlich geregnet, doch sie saß schon über eine Stunde im Auto, und es war kein Tropfen Wasser gefallen.
Adam hatte stundenlang über Südafrika gesprochen und alles beschrieben, von den Tieren bis zum Essen, während sie in einer Hängematte auf seinem privaten Dachgarten kuschelten. Seine Leidenschaft für das Land und das Resort, das er dort leitete, war in jedem Satz spürbar. War das wirklich erst vor sechs Wochen gewesen?
Nun, seine Worte wurden diesem Land nicht gerecht. Kein Wunder, denn Adam war ein totaler Lügner.
Emma streckte die Hand über den Sitz und drückte Charlottes Hand. Die Cousinen waren nur wenige Monate auseinander und waren, nachdem Emmas Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren und sie mit ihrem Bruder in den Palast gezogen war, eher wie Schwestern aufgewachsen. Emmas ausdrucksstarke blaue Augen blickten besorgt. „Alles in Ordnung?“
Charlotte zwang sich zu einem Lächeln und nickte. „Natürlich. Ich bewundere nur die Landschaft. Ich kann nicht glauben, dass wir die Jungs so lange mit den Auslandseinsätzen allein gelassen haben.“
„Ich weiß.“ Emma legte ihre Hände sittsam in den Schoß. Sie hatte heute einen taillierten weißen Blazer und einen Rock getragen. Das ließ ihre gebräunte Haut strahlen und brachte ihr dunkles, seidiges Haar besonders gut zur Geltung. „Aber die Familiendynamik verändert sich. Jetzt, wo Alex und Stefan mit ihren Verlobten beschäftigt sind, erlaubt uns Tante Nicolette vielleicht, mehr Solo-Auftritte zu machen.“
„Das hoffe ich.“ Charlottes Mutter war sehr beschützerisch und hatte es vorgezogen, die Mädchen in der Nähe ihres Zuhauses zu behalten. Tatsächlich war es das erste Mal, dass Emma und Charlotte das Land ohne die Begleitung eines ihrer Brüder verlassen durften. Es war eine erfrischende Abwechslung.
„Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?“ Emma schürzte die Lippen und runzelte die Stirn. „Ich weiß, das ist viel.“
Auf dem Vordersitz des Wagens rutschte Joseph – einer von Charlottes beiden Leibwächtern – hin und her und murmelte der Fahrerin mit leiser Stimme etwas zu, das sie nicht verstehen konnte. Joseph war ein massiger Mann mit strengem Gesichtsausdruck und einer tiefen Liebe zu Schusswaffen. Und während er und Karla, Charlottes Leibwächterin, die in der Limousine vor ihnen saß, Geheimnisse für sich behielten, legte Charlotte Wert darauf, so viel Privatsphäre wie möglich zu wahren.
Sie beugte sich näher zu Emma und senkte die Stimme. „Hör auf, so zu tun, als würde ich zusammenbrechen, wenn ich ihn sehe. Ich bin nicht deswegen hier.“ Sie hatte nur zehn Tage mit Adam verbracht – eine stürmische Romanze –, während er sich um ein Problem in einem der Durham-Hotels kümmerte. Niemand außer Charlottes Sicherheitsleuten und Emma hatte von der Beziehung gewusst, die für Charlotte in Ordnung gewesen war. Nachdem sie den Medienzirkus gesehen hatte, den ihre Brüder Alex und Stefan durchgemacht hatten, hatte sie sich damit zufrieden gegeben, die Wahrheit zu verbergen.
Es war von Anfang an klar, dass Adam nichts Ernstes suchte. Charlotte auch nicht, zumindest anfangs. Doch wider besseres Wissen hatte sie sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Und nach diesem letzten zauberhaften Abend dachte sie, er hätte sich vielleicht auch in sie verliebt.
„Okay, okay.“ Emma hob beschwichtigend die Hand. „Es geht hier nicht um Adam.“
„Nein“, beharrte Charlotte. „Ich wäre nie gekommen, wenn Education Beyond Borders mich nicht gebeten hätte, die Hauptrede auf der Konferenz zu halten.“
Sie hatte die Einladung nicht annehmen wollen, da die dreitägige Bildungskonferenz dieses Jahr in Adams Hotel stattfand. Das bedeutete, dass Charlotte ihm wahrscheinlich mindestens ein- oder zweimal begegnen würde, was mehr als unangenehm gewesen wäre. Aber sie hatte noch nie eine Gelegenheit ausschlagen können, über die lebenswichtige Bedeutung von Bildung zu sprechen. Da Emma gerne reiste, hatte sie angeboten, Charlotte zu begleiten und ihr moralische Unterstützung zu geben.
War es zu viel verlangt, dass Adam während der Konferenz überhaupt nicht im Hotel sein würde? Obwohl sie sich ohne Versprechen für die Zukunft verabschiedet hatten, hatte sie gehofft, er würde zumindest anrufen. Sie war sich so sicher gewesen, dass er genauso fühlte wie sie.
Aber er hatte nicht angerufen. Erst war ein Tag vergangen, dann zwei, dann drei. Am fünften Tag hatte sie auf einer Online-Klatschseite ein Foto von ihm mit Brionna Cartwright gesehen. Offenbar waren die beiden Hotelerben ein Paar. Mit Charlotte war es nur eine Affäre gewesen.
Der Schmerz ging viel tiefer als nur verletzter Stolz.
Ihre Finger schlossen sich um den Liebesroman in ihrem Schoß und suchten den Trost, den nur ein Buch spenden konnte. Wenn sie Adam begegnete, würde sie ihn wie jeden anderen Mitarbeiter behandeln, dem sie auf der Reise begegnete – höflich, aber distanziert. Sie würde nicht daran denken, wie seine Lippen ihre mit einer einfachen Berührung beherrschen konnten, wie weich sich sein Haar unter ihren Fingern anfühlte, wie seine bloße Anwesenheit sie erschauern lassen konnte –
Joseph rutschte auf dem Vordersitz hin und her und lenkte Charlotte ab. Emma starrte sie mit wissendem Blick an.
Charlotte wand sich unbehaglich und tat so, als würde sie sich für ein Nagetier interessieren, das über die Straße huschte. Sie mussten jetzt nur noch wenige Minuten vom Resort entfernt sein.
„Du musst nicht mit ihm reden“, sagte Emma schließlich. „Schau ihn nicht einmal an. Tu so, als wäre er nicht da.“
Charlotte verdrehte die Augen. „Wenn er also auftaucht und versucht, mit mir zu reden, soll ich ihn einfach ignorieren und weggehen? Das wird Mutter gefallen. Ein sehr königliches Verhalten.“
Emma zuckte mit den Schultern. „Du bist eine Prinzessin von Durham. Du kannst dich benehmen, wie du willst, und Adam Montgomery wird damit klarkommen müssen.“
Charlottes Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Gerade weil ich eine Prinzessin bin, kann ich mich nicht so benehmen. Aber trotzdem danke für die Geste. Was würde ich nur ohne dich tun?“
„Wahrscheinlich wirst du von deinen Brüdern völlig überrannt“, sagte Emma lachend.
„Wahrscheinlich.“ Charlotte seufzte und strich mit der Hand über den Bucheinband. „Vielleicht haben wir Glück und er ist nicht hier. Soweit ich weiß, ist er mit Little Miss Perfect in einem anderen exotischen Hotel. Die beiden besitzen zusammen nur etwa eine Milliarde Resorts weltweit.“
„Little Miss Perfect“ – so lautete der Spitzname, den sie Brionna gegeben hatten. Irgendetwas an ihr wirkte seltsam. Vielleicht lag es an ihrem künstlichen Lächeln, das sie ständig in die Kameras setzte, oder daran, dass sie auf jede Frage eines Reporters eine vorgefertigte Antwort parat hatte. Aber es fiel ihr schwer, nicht eifersüchtig auf die wunderschöne Brünette zu sein. Wusste Brionna, dass Adam Charlotte nur wenige Tage vor ihrer Beziehung geküsst hatte?
Wahrscheinlich nicht. Adam hätte diese Information zweifellos für sich behalten.
„Stimmt“, sagte Emma mit ernster Miene. „Hotelmanager machen nämlich immer Urlaub auf einem fremden Kontinent, während in ihrem Hotel eine wichtige Konferenz stattfindet.“
ENGLISH EDITION
329 Seiten
6-7 Stunden
63.000 Wörter
